Rezensionen und Lesetipps
An dieser Stelle weisen wir Sie auf Bücher hin, die auf verschiedensten Wegen zu uns gefunden haben.
Vielleicht können wir mit unseren Besprechungen Ihr Interesse wecken, sie ebenfalls zu lesen.
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SENTA GIBT GAS
von Bettina MessnerRezension von Josef Graßmugg
Erzählungen, 248 Seiten, erschienen in der edition keiper, Graz 2016.
ISBN: 978-3-902901-92-7
30 Erzählungen füllen 240 Buchseiten.
Kurze Texte, geschrieben in sehr kurzen Sätzen.
Die Autorin beschreibt sowohl dramatische Augenblicke, als auch belanglose Momente. Situationen wie sie immer wieder vorkommen (können), verwandelt sie in Literatur.
In Erzählungen wie „Allover oder: Horror vacui“, „Des Pudels Kern“ oder den „Intermezzi“ gelingt es Bettina Messner, den Zeitgeist in sehr ironischer Form einzufangen.
Als mitfühlende Zuhörerin gibt sie sich „Im Hof“. Wenn man Geschichten schreiben möchte, bedarf es keiner krampfhaften Suche nach Themen. Es genügt, Menschen zuzuhören. Vor allem in der Anonymität städtischer Siedlungsbauten verbergen sich unzählige, oft ergreifende, menschliche Schicksale.
Das Zwiegespräch bzw. die Zwiegedanken bei „Princesse Lointaine“ führt den Rezensenten vor Augen, dass ebendiese nicht mehr einwandfrei sind. Die Verwendung der Standard-Schriftgröße für beide handelnden Personen würde das Lesen erleichtern.
Keine Probleme hinsichtlich der Lesbarkeit gibt es aus inhaltlicher Sicht. Klar formulierte Sätze laden ein, der Autorin auf ihrer Reise zwischen Fiktion und Wirklichkeit zu folgen.
Die eigene Gefühlswelt wird bereichert, wenn man sich darauf einlässt, selbst Teil der Geschichten zu werden, sie mitzuerleben.
Es lohnt sich, daran teilzuhaben.
Gedankenflüge
von Rüdiger MendelRezension von Josef Graßmugg
Lyrik im Eigenverlag, Herstellung: Druck-Express Tösch GmbH, A-8650 Kindberg, 2015, 84 Seiten mit Bildern von Helmut Königshofer
Oft müht man sich durch hunderte Textseiten, um Länder – vom eigenen Umfeld bis hin zu exotischen Weltgegenden – kennen zu lernen.
Oft bedarf es der Lektüre umfangreicher Schmöker, um Zugang zu verschiedenen Glaubensrichtungen und Einblicke in mythologische Geheimnisse zu erhalten.
Rüdiger Mendel ist es gelungen, diese und andere Themen in komprimierter Form verständlich zu beschreiben.
Meist bedient er sich dabei der Form des Haiku, jener aus Japan stammenden siebzehn-silbigen Gedichtform, die sich längst auch im deutschsprachigen Raum etabliert hat.
Bei Bedarf werden die literarischen Texte durch Fußnoten ergänzt.
Auch wenn es Gedichte gibt, die „naturgemäß“ eine negative Aussage beinhalten, weil eben auch problematische Themen angesprochen werden – die positive Lebenseinstellung des Autors spiegelt sich in zahlreichen Texten wider. Hier eines der Beispiele:
Glücklich sein
Mohn glüht errötend.
Gratis mitfahren auf dem
Wolkensegelschiff.
Eine Symbiose zu den Texten von Rüdiger Mendel bilden die „lyrischen Zeichnungen“ von Helmut Königshofer.
Der Doktor braucht ein Heim
von Irene DischeRezension von Josef Graßmugg
Während die Tochter seinen Umzug ins Heim vorbereitet, lässt der betagte Nobelpreisträger - der Doktor - sein turbulentes Leben Revue passieren: die Banditen eines bösartigen Jahrhunderts und die Frauen seines Lebens. Erbarmungslos direkt beschreibt Irene Dische die erlebte Wahrheit eines an Alzheimer Erkrankten. Es ist nicht irgendein alter Mann, von dem sie erzählt. Es ist ihr Vater.
Berühmt wurde der Doktor durch Irene Disches Bestseller Großmama packt aus. Seinenersten Auftritt hatte er 1990 in dieser brillanten Erzählung, in der ihn seine Tochter in ein Altenheim bringt. »Irene Dische genügen 50 Seiten für einen Lebenslauf, der ein Jahrhundert umfasst. Mit weniger käme nur Kafka aus.« Neue Zürcher Zeitung
Sollte jemand Einblick in die Welt von Alzheimer-Patienten suchen, hat er natürlich die Möglichkeit, Arno Geigers „Der alte König in seinem Exil“ zu lesen. Wem die 192 Seiten des Romans zu umfangreich sind, sei die Erzählung „Der Doktor braucht ein Heim“ empfohlen. Mit einfachen Worten beschreibt Irene Dische das Leben in einer Welt, die immer mehr Menschen zur Heimat wird.
Siebzehn Silben Ewigkeit
von Denis ThériaultRezension von Josef Graßmugg
Bilodo ist ein junger Postbote aus Montreal mit Vorliebe für Kaligraphie. Heimlich öffnet er abends über Wasserdampf handgeschriebene Briefe und träumt sich in fremde Lebenswelten. Eines Tages stößt er auf die ungewöhnliche Korrespondenz zwischen Professor Grandpré und Ségolène, einer Lehrerin aus Guadeloupe, die sich Gedichte schreiben. Bilodo verliebt sich in Ségolène und als Grandpré bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt, ersinnt Bilodo einen gewagten Plan: Will er den Kontakt zu Ségolène nicht abreißen lassen, muss er in die Identität des anderen schlüpfen und lernen, wie man mit siebzehn Silben die Ewigkeit einfängt ...
Auch wenn mir der Plot, speziell der Schluss ein wenig weit hergeholt scheint – es war schön, dieses Buch zu lesen. Nicht nur, dass Denis Thériault ganz allgemein eine sehr lyrische Sprache verwendet – er gibt auch einen Crashkurs für japanische Literaturformen. Ganz speziell wird das Wesen der Lyrikformen „Haiku“ und „Tanka“ beleuchtet. Thériault beschreibt ausgezeichnet, dass ein 17-silbiges Gedicht noch lange kein Haiku / Senryu ist. Dazu bedarf es wesentlich mehr…
Michael Kohlhaas
von Heinrich von KleistRezension von Josef Graßmugg
Die Wiederkehr des 200. Todestages im heurigen Jahr könnte doch ein Anlass sein, wieder einmal zu einem „Klassiker“ zu greifen.
Ich habe mich für „Michael Kohlhaas“ entschieden.
Natürlich hat sich die Welt in den letzten zwei Jahrhunderten sehr verändert. Aber das Ende des Ausgeliefertseins gegenüber Politikern und Beamten gehört noch immer nicht der Vergangenheit an. Wie im Einzelfall auf offensichtliche Fehlentscheidungen oder Provokationen reagiert wird, hängt von vielen Faktoren ab. Eine Extremvariante wird in der Novelle von Heinrich Kleist beschrieben.
Eine interessante Lektüre auch im Hinblick auf die Diskussionen zur letzten Rechtschreibreform.
Zweihundert Jahre sind eigentlich ein kurzer Zeitraum. Liest man aber eine Ausgabe des Werkes, die nicht einmal in der Originalschreibweise sondern nur sehr stark daran angelehnt ist, versteht man durchaus, dass sich sowohl Schreibstil als auch die Grammatik verändern „muss“.
Heinrich von Kleist
* Frankfurt an der Oder 1777
+ Berlin-Wannsee 1811
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