Dagmar Weck

 

 

 

 

 

das treppenhaus

Karl rückt den gelben Sessel in dem langen Flur seiner Wohnung noch ein Stückchen näher an die Tür, hinter der das Treppenhaus sich über sechs Stockwerke ausbreitet. Auf und ab durchschreitet Karl seinen Flur.

„Karl, was machst du da schon wieder?“ Julie betritt den Flur, bleibt in einigem Abstand von ihrem Mann stehen.

„Julie, ich höre dem Aufzug zu und den Stimmen unserer Nachbarn, da draußen bewegt sich etwas, Katharina fragt ihren Wölfi durch ihre Schutzmaske, wie wir uns wohl fühlen.“

Karl öffnet die Wohnungstür, lächelt seinen Nachbarn zu, die gerade aus dem Aufzug kommen.

Wölfi nimmt seine rosafarbene Schutzmaske kurz ab und lächelt zurück.

„Du bist ja durchgedreht, Karl, die Corona-Zeit hat dich verändert. Wir können unsere Freunde nicht mehr treffen, deswegen bist du so geworden, wir sind allein, komm doch ins Wohnzimmer zu mir.“

Julie wartet. „Ich bleibe hier“, Karl setzt sich in seinen Sessel, „Nein, das Virus trägt keine Schuld an unserer Einsamkeit, wir hatten vorher auch keine Freunde mehr.“

Karl stöhnt: „Zu Leslie und Fabian haben wir keinen Kontakt mehr, das liegt an uns, liebe Julie, die Ödnis, in der wir leben, haben wir uns selbst zuzuschreiben.“

Eine Stunde noch hört Karl den monotonen Geräuschen des Aufzugs zu.

„Wir haben unsere damaligen Freunde vor den Kopf gestoßen“, bricht es aus ihm heraus. Er weint, steht auf und geht zu Julie ins Wohnzimmer.

„Wir wollten uns nicht mehr um Fabian kümmern, Julie, weil er krank geworden ist.“

Leslie umarmt ihren Mann: „So war es, wir sind zu ihnen nicht mehr hingefahren, schäbig war das von uns.“

Entfernt und kaum wahrnehmbar vernimmt Karl den Aufzug.

Einen Capuccino trinken sie zusammen, das haben sie sehr lange nicht getan.

Julie findet die Telefonnummer ihrer alten Freunde: „Hier ist Julie, Leslie, Karl ist auch hier, wir wollen alles wieder gut machen.“

Lange sprechen vier Menschen miteinander, sie sind nicht mehr verloren.

Karl und Julie nehmen die Gefühle der zwei Menschen am anderen Ende ihres Telefons wahr.

 


 

Betty und George

unbesetzt

der platz neben Betty

auf der couch

 

wir wissen

einiges über den virus,

wir wissen vieles noch nicht’

 

der nachrichtensprecher geleitet

Betty durch den tag

 

‚ich gehe’

George erhebt sich von seinem

stuhl

‚Betty, was wissen wir

noch von einander

meine liebe’

Betty sieht George an

bewegt zögernd ihre lippen

 

‚wie lange willst du schweigen’

sanftmütig fragt George seine Betty

 

minuten wartet er auf ein wort von

der befragten

langsam schreitet er aus dem wohnzimmer

 

‚bleib, hier bist du sicher,

George'

er hört Betty nicht

 

‚manche paare entfernen sich von einander

so erzählen sie’

bewegt zeigt sich der nachrichtensprecher

Betty weint

lautlos kam das große alleinsein

auch zu ihr und George

 

der steht vor ihr

‚auch wir sind einsam'

sie umarmt ihn

‚das weiß ich nun von dir

und du erkennst es an mir

jetzt sind wir wieder zu zweit

mein lieber George

wir finden neue worte

nicht wahr?’

 


 

Johnny

ein mensch zieht sich zurück

Johnny

so haben ihn seine nachbarn gerufen

drei zimmer

bewohnt er

die sind sein paradies

 

ES ist angekommen,

in Johnnys stadt

ES, sein name ist corona-virus

berichten die nachrichten,

 

ES lauert in der gesamten welt

 

„das kann nicht sein“

schreit Johnny von seinem fenster in die strasse hinaus

niemand

hört ihn

in der strasse geht kein mensch

„in meiner wohnung ist doch die welt nicht",

sagt Johnny,

klopft an die wand seines wohnzimmers

der mensch hinter der wand sagt nichts,

dort lebt Greta

Johnny weint, er lebt schon 65 jahre

seinen balkon beschreitet er

zwei schritte bewegt er sich hinaus

mundschutz handschuhe

mütze schal jacke

verbergen Johnny

einer gestalt in der straße winkt er zu

jacke kapuze schal

geben der gestalt keine identität

Johnny tritt den rückzug an,

 

ein läuten an seiner wohnungstür

er öffnet

dann erlebt er ES, das innigste,

weit weg von ihm im flur steht

Greta

„deine tasche mit lebensmitteln, Johnny“

„danke, Greta, bleib gesund“

 

Johnny geht in seine wohnung zurück

sieht sich um