Die Geschichte vom Esel der sprechen konnte

von Michael Scharang
Rezension von Hans Bäck

Roman

Czernin, ISBN 978-3-7076-0791-8

 

Sind wir ehrlich, das ist ein Märchen. Auch wenn es nicht so wie ein Märchen beginnt: „Es war einmal, vor langer Zeit …“ und auch nicht endet wie ein Märchen, denn der letzte Satz lautet nicht: „und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie auch heute noch.“

Und doch ist es ein Märchen. Ein wunderschönes sogar! Ein kleiner Junge rettet einen verwahrlosten Esel vor dem Verhungern und Erfrieren, und das alles in den letzten Kriegstagen. Die letzten Bomben werden von den Alliierten über der Stadt abgeworfen, die Großmutter und der kleine Moritz kommen mit dem Esel gerade noch davon. Der Esel wird in der Holzhütte der Großmutter einquartiert und weil er vom kleinen Moritz gerettet wurde, können ab sofort der Junge und der Esel miteinander kommunizieren – sprechen. Womit wir beim Titel des Buches wären.

Wir erleben die letzten Kriegstage in der Heimatstadt des Autors, Kapfenberg wird auch nicht verborgen oder hinter einem Pseudonym versteckt. Wie überhaupt viele Namen im Laufe der Geschichte – oder des Märchens – genannt werden. Lokalkolorit? Oder bewusste Hinführung? Es wäre nicht Michael Scharang, wenn die Hinweise auf die Vergangenheit seiner Vaterstadt fehlen würden. Die Erinnerung an den 12. Februar 1934 fällt genau mit dem Bombenabwurf 11 Jahre später zusammen. Der kleine Esel und der Junge sind ab sofort unzertrennlich, teilen Freude und kindliche Schmerzen miteinander, sind unterwegs in den Wäldern rund um die Stadt, kommen zum Wallfahrtsort oberhalb der Stadt, besuchen den Wunderbaum, die zwei Wirtshäuser, die Bauernhöfe. Was in anderen Erzählungen aus dieser Zeit ein ganz wesentliches Element der Begebenheiten ist, das „Hamstern“, wird in dieser Form von Scharang sehr abgemildert dargestellt. Sehr wohl ist die „Zurückhaltung“ der Bauern bei der Hilfe und Unterstützung der Stadtbevölkerung, der Fabriksarbeiter, ein Thema. Märchenhaft ist die Schilderung, wenn die Großmutter des Moritz bei der Zubereitung von faschierten Laberln in einem der Wirtshäuser im Wallfahrtsort behilflich ist. Der allgemeine Mangel in dieser Zeit wird (bewusst?) ausgeblendet. In der offiziellen Chronik der Stadt Kapfenberg steht für diese Zeit eine Zuteilung von etwa 1500 Kalorien pro Tag für „Normalverbraucher“.

Schwierigkeiten hatte der Vater des Moritz im Werk: Im Zuge von verdächtigter Sabotage an Panzergetrieben, der Zuwendung von Brot an die französischen Zwangsarbeiter, kam es zu den letzten Zuckungen des NS Regimes, um noch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Dann der erlösende Tag „Der Krieg ist aus!“ und die „wunderschöne Zeit“ der russischen, nein der sowjetischen Besatzung beginnt. Da wird es nicht viele Kapfenberger geben, die bei diesen Passagen dem Autor zustimmen. Es gibt auch andere Erinnerungen an die paar Monate der sowjetischen Besatzungszeit, und nicht nur Zeltfeste, Kinderspiele, Pferde- und Fahrzeugverleih an die Bevölkerung. Da gibt es einige, welche da andere Erinnerungen haben. Da es sich aber um ein Märchen handelt, blendet der Autor diese Ereignisse aus. Die „Russen“ sind die herzlich willkommenen Befreier und sie sorgen für Ernährung der Bevölkerung, Sicherheit (auch der Frauen, die unterwegs sein müssen), Ordnung und Verwaltung. Auch hier beschreibt die Chronik der Stadt eine andere Situation. Das Werk, die Fabrik selbst, wird zu gezielter Demontage der Einrichtungen und als Wiedergutmachung erfolgt der Transport in die UdSSR. Ein Wiederaufbau ist unter dieser Besatzung nicht zu erwarten.

Altersmild schildert Scharang die urplötzliche Wandlung von SS Führern zu sozialistischen Vizebürgermeistern. Das hatte er in früheren Werken nicht so harmlos geschildert. Aber, ich denke der revolutionäre Geist früherer Jahre ruht sich aus.

Ausführlich wird geschildert wie der Aufbruch nach den Jahren der Diktatur, des Krieges erfolgte. Die wichtigsten handelnden Personen werden namentlich genannt und in ihrer Bedeutung für die Stadt ausführlich geschildert. Ob es der Architekt Ferdinand Schuster, der erste Leiter der Musikschule und spätere Landesmusikdirektor Marckhl waren, sie prägten nicht nur Kapfenberg und damit den Werdegang des kleinen Moritz und seines Begleiters, dem Esel. Das schildert Scharang sehr bildhaft und ausführlich. Verständlich, seine spätere Lebenshaltung wurde in dieser Zeit und auch von diesen Menschen geprägt. Der Autor und der Rezensent saßen in der gemeinsamen Volksschule, zur Hälfte von einem Bombentreffer zerstört, erlebten wie die Lehrer damals in der Lage waren, eine Klasse mit 48 Schülern zu unterrichten. Wir erlebten auch, wie die tägliche „Ausspeisung“ - eine warme Mahlzeit von der britischen Besatzungsmacht organisiert – für viele der 48 lebensnotwendig war! Dass dies nicht mehr von der sowjetischen Armee kam, das verschweigt Scharang. Betroffene, nein Leidtragende Überlebende der jugoslawischen Kriegsgefangenenlager werden seine milde Beurteilung des Lagerlebens in Jugoslawien nicht teilen. Sterntal, und die anderen Lager waren zu fürchterlich, um sie zu vergessen. Ganz zu schweigen von jenen, die auf Goli Otok inhaftiert waren. Das waren überwiegend jene jugoslawischen Kommunisten, welche den Bruch Titos mit Stalin nicht verstehen wollten. Der Rezensent schreibt darüber in einem eigenen Buch ausführlich. Daher nur der Hinweis, dass Scharang leider einseitig berichtet. Das ist bei der Fülle des Geschilderten schade. Denn, wenn auch der Sozialismus kläglich gescheitert war, Karl Marx hatte Recht behalten: Der wichtigste Produktionsfaktor, der Mensch, hat sich selbstständig gemacht und kein Unternehmer kann sicher sein, dass seine Mitarbeiter am nächsten Tag nicht bei der Konkurrenz anheuern. Auch darüber schrieb der Rezensent in einem sep. Buch!

Doch zurück zum Märchen vom Esel, der sprechen konnte.

Das Märchen entwickelt sich weiter, der sowjetische Offizier, der Kapfenberg so vorbildlich in der Besatzungszeit betreut, verwaltet, versorgt hatte, wurde Botschafter der UdSSR in Österreich, genau zu der Zeit, als Moritz nach der Matura nach Wien ging, um zu studieren. Sogar für den Esel war gesorgt, in der Residenz des Botschafters konnte ein Stall, eine Behausung gefunden werden.

Das weitere Leben, vor allem die Familiengründung des Moritz, seine berufliche Entwicklung, die ununterbrochen vom Esel und dessen Betreuung begleitet war, können wir nun miterleben. Viele der Bücher Scharangs werden in der Entstehung geschildert und das alles mit Hilfe des sagenhaften, nein, des märchenhaften Esels. Bis zu den Enkelkindern begleitet der Esel die Familie! Wie begründet er das? „Sechzig Jahre, fuhr Moritz fort. Esel werden normalerweise nicht so alt. Das ist so, war die Antwort: Wenn ein Kind einen kleinen Esel aus seinem Elend befreit, kann der Esel mit diesem Kind sprechen. Und solange dieses Kind lebt, bleibt auch der Esel am Leben. Das ist seit ewigen Zeiten so.“

Damit wären wir doch beim Schlusssatz von Märchen angelangt: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann …

 

Jedenfalls, ein Märchenbuch, in dem auch Michael Scharang sein erzählerisches Können beweist, auch wenn manche Ereignisse im Abstand von Jahrzehnten anders abliefen als geschildert. Aber in Märchen darf das wohl so sein.




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